2010: Jost Vacano

Jost Vacano

Preisträger des Jahres 2010

Ich bin kein intellektueller Filmemacher, der mit großen Plänen arbeitet, wie zum Beispiel nur mit langen Brennweiten arbeiten, besondere Filter verwenden oder sich etwas sonstiges ausdenkt. Ich lasse immer den Film auf mich zukommen.

Jost Vacano

Jost Vacano wird am 15. März 1934 in Osnabrück als Sohn einer Ballettmeisterin und eines Dirigenten geboren. Nach dem Abitur 1954 zieht Vacano in die damalige Filmhauptstadt München, wo er zunächst an der Technischen Universität Elektrotechnik studiert. Parallel dazu besucht er als Gast Vorlesungen des Deutschen Instituts für Film und Fernsehen (DIFF), wo er auch erste dokumentarische Filme dreht. Frühe Kenntnisse über Bildgestaltung erlangt Jost Vacano durch das Kino, dessen Kunst er sich als Autodidakt aneignet. Beim Besuch einer Münchner Schauspielschule lernt er Peter Schamoni kennen, mit dem er 1957 zum ersten Mal zusammenarbeitet und seine ersten Kinofilme (so genannte Kulturfilme) dreht. Neben kurzen Ausflügen in die Werbefilmproduktion dreht er ab 1963 vor allem Fernsehspiele für verschiedene Sender und arbeitet mit so zeitprägenden Regisseuren wie Hansgünther Heyme, Peter Zadek, Wilm ten Haaf, Eberhard Itzenplitz und Rainer Wolffhardt zusammen.

1966 fällt Vacano mit seiner Arbeit für seinen ersten Kinospielfilm Schonzeit für Füchse (Regie: Peter Schamoni) auf, gleichzeitig festigt er mit den Fernsehfilmen, die er unter anderem zusammen mit Peter Beauvais und Rolf Hädrich dreht, seinen Ruf als herausragendes Talent. Die Arbeit an Mord in Frankfurt (Regie: Rolf Hädrich, 1968) bringt ihm eine Auszeichnung auf dem Filmfestival in Prag ein. Mit Roland Klicks Supermarkt (1974) und vor allem mit den beiden Filmen Die verlorene Ehre der Katharina Blum (Regie: Volker Schlöndorff, Margarethe von Trotta, 1975) sowie Lieb Vaterland magst ruhig sein (Regie: Roland Klick, 1976), für die er den Bundesfilmpreis für die beste Kameraarbeit erhält, beginnt Vacanos Kinokarriere. Zu seinen wichtigsten Arbeiten gehört zweifelsohne Wolfgang Petersens Das Boot (1981), bei dem Jost Vacano die Bildgestaltung verantwortet. Seine bedrückenden Bilder, die er mit Hilfe des von ihm selbst entwickelten Kreiselsystems kreiert, gelten als stilbildend für das internationale Kino und werden 1983 mit der Nominierung für den Oscar geehrt. Die Zusammenarbeit mit Wolfgang Petersen setzt sich in der Verfilmung von Michael Endes Die unendliche Geschichte (1984) fort.

Bereits 1977 dreht Jost Vacano zusammen mit dem niederländischen Regisseur Paul Verhoeven den Film Soldat von Oranjen. Die beiden verbindet seitdem eine Freundschaft, die insbesondere in den USA, wo Jost Vacano seit 1986 hauptsächlich arbeitet, produktiv ist: Das amerikanische Action- und Science-Fiction-Kino der späten 1980er und 1990er Jahre profitierte außerordentlich von den überaus erfolgreichen Filmen Robocop (1987), Total Recall – Die totale Erinnerung (1990) und dem kontrovers diskutierten Starship Troopers (1997, alle mit Paul Verhoeven). Mit diesen Filmen und weiteren Kooperationen, beispielsweise mit John Frankenheimer, erwirbt sich Jost Vacano neben seinem Renommee als herausragender Geschichtenerzähler den Ruf, auch größte Hollywoodproduktionen mit ungewöhnlicher Bildlichkeit zu bereichern.

Nach seiner letzten Produktion Hollow Man (2000, ebenfalls mit Verhoeven) lebt Jost Vacano heute in München und engagiert sich intensiv in der Diskussion zur Umsetzung des Urheberrechts für die Kameraleute als unverzichtbare Mitschöpfer von Filmwerken.

Hollow Man – Unsichtbare Gefahr (2000)
Regie: Paul Verhoeven

Starship Troopers (1997)
Regie: Paul Verhoeven

Showgirls (1995)
Regie: Paul Verhoeven

Real Love (1993)
Regie: Tony Bill

Total Recall – Die totale Erinnerung (1990)
Regie: Paul Verhoeven

Geschichten aus der Gruft (1990, TV-Episode, 1 episode)
– The Switch (1990)
Regie: Arnold Schwarzenegger

Rocket Gibraltar (1988)
Regie: Daniel Petrie

RoboCop (1987)
Regie: Paul Verhoeven

52 Pick-Up (1986)
Regie: John Frankenheimer

Das Boot (1985, TV Mini Serie, 3 Episoden)
– Part 3 (1985)
– Part 2 (1985)
– Part 1 (1985)
Regie: Wolfgang Petersen

Die unendliche Geschichte (1984)
Regie: Wolfgang Petersen

Die wilden Fünfziger (1983)
Regie: Peter Zadek

Das Boot (1981) 
Regie: Wolfgang Petersen

Spetters – Knallhart und romantisch (1980)
Regie: Paul Verhoeven

Voor koningin en vaderland (1979, TV Mini Serie, 4 Episoden)
– De Ontmaskering (1979)
– De Oversteek (1979)
– De Germaanse Wals (1979)
– De Stilte voor de Storm (1979)
Regie: Paul Verhoeven

Verdammt bis in den Tod (1978)
Regie: Duccio Tessari

Tod oder Freiheit (1977)
Regie: Wolf Gremm

Der Soldat von Oranien (1977) 
Regie: Paul Verhoeven

Die Brüder (1977)
Regie: Wolf Gremm

Die 21 Stunden von München (1976, TV)
Regie: William A. Graham

Potato Fritz (1976)
Regie: Peter Schamoni

Lieb Vaterland magst ruhig sein (1976)
Regie: Roland Klick

Am Wege (1975) (TV-Zweiteiler)
Regie: Peter Beauvais

Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder: Wie Gewalt entstehen kann und wohin sie führen kann (1975)
Regie: Volker Schlöndorff, Margarethe von Trotta

Frau von Bebenburg (1975, TV Film)
Regie: Eberhard Itzenplitz

Der Abituriententag (1974, TV Film)
Regie: Eberhardt Itzenplitz

Tod der Schneevögel (1974, TV Film)
Regie: Eberhardt Itzenplitz

Supermarkt (1974)
Regie: Roland Klick

Ein Leben (1973, TV Film)
Regie: Eberhard Itzenplitz

Die Kriminalerzählung (1973, TV Serie, 4 Episoden)
– Geheimakte SF2 (1973)
– Mann vermißt (1973)
– Die rote Queen (1973)
– Der furchtsame Ehemann (1973)
Regie: Wilm ten Haaf

Entziehung – Ein Tagebuch (1973, TV Film)
Regie: Ludwig Cremer

Plaza Fortuna (1973, TV Film)
Regie: Wolfgang Liebeneiner

Auf Befehl erschossen – Die Brüder Sass, einst Berlins große Ganoven (1972, TV Film)
Regie: Rainer Wolffhardt

Federlesen – Bilder aus dem Leben eines Einfallsreichen (1972, TV Film)
Regie: Rainer Wolffhardt

Mandala (1972, TV Film)
Regie: Rainer Wolffhardt

Der Pedell (1971, TV Dokumentarfilm)
Regie: Eberhard Itzenplitz

Kennen Sie Georg Linke? (1971, TV)
Regie: Rolf Hädrich

Die Deutschstunde (1971, TV)
Regie: Peter Beauvais

Tatort (1971, TV-Episode, 1 Episode)
– Kressin und der tote Mann im Fleet (1971)
Regie: Peter Beauvais

Schmetterlinge weinen nicht (1970)
Regie: Klaus Überall

Ich, ein entlassener Lehrer (1970, TV Film)
Regie: Eberhard Itzenplitz

Eine große Familie (1970, TV Film)
Regie: Peter Beauvais

Der Nagel (1970, TV Film)
Regie: Oswald Döpke

Die Geschichte der 1002. Nacht (1969, TV Film)
Regie: Peter Beauvais

Alma Mater (1969, TV Film)
Regie: Rolf Hädrich

Nur der Freiheit gehört unser Leben (1969, TV Film)
Regie: Eberhard Itzenplitz

Rumpelstilz (1969, TV Film)
Regie: Peter Beauvais

Ramon Yendias Flucht (1969, TV Film) )
Regie: Oswald Döpke

Prüfung eines Lehrers (1968, TV Film)
Regie: Eberhard Itzenplitz

Der Unfall (1968, TV Film)
Regie: Peter Beauvais

Ostern (1968, TV Film)
Regie: Wilm ten Haaf

Gift für die Rosen (1968, TV Film)
Regie: Oswald Döpke

Das imaginäre Leben des Straßenkehrers Auguste G. (1968, TV Film)
Regie: Eberhard Itzenplitz

Mord in Frankfurt (1968, TV Film)
Regie: Rolf Hädrich

König Ödipus (1967, TV Film)
Regie: Oswald Döpke

Tragödie in einer Wohnwagenstadt (1967, TV Film)
Regie: Günter Gräwert

Freitag muss es sein (1966, TV Film)
Regie: Korbinian Köberle

Spielplatz (1966, TV Film)
Regie: Wilm ten Haaf

Schonzeit für Füchse (1966)
Regie: Peter Schamoni

Das Kriminalmuseum (1966, TV-Episode, 1 Episode)
– Der Barockengel (1966)
Regie: Dieter Lemmel

Ein Tag ohne Morgen (1966, TV Film)
Regie: Wilm ten Haaf

Das Leben meines Bruders (1966, TV Film)
Regie: Wilm ten Haaf

Der Nebbich (1965, TV Film)
Regie: Peter Zadek

Mariana Pineda (1965, TV Film)
Regie: Wilm ten Haaf

Bis ans Ende (1964, TV Film)
Regie: Wilm ten Haaf

Die Stühle (1964, TV Film)
Regie: Peter Zadek

Der gelbe Pullover (1964, TV Film)
Regie: Karl-Heinz Bieber

Mit zwei Füßen im Grab (1964, TV Film)
Regie: Hansgünther Heyme

Vorsätzlich (1963,TV Film)
Regie: Dieter Lemmel

Drei Einakter von Francois Paliard (1963,TV Film)
Regie: Hansgünther Heyme

Freunde wie Wölfe (1962, TV Film)
Regie: Heinz Schimmelpfennig

Bodega Bohemia (1962, Short)
Regie: Peter Schamoni

Moskau ruft (1959, Dokumentarfilm Short)
Regie: Peter Schamoni

2007 Goldene Kamera für die Bildgestaltung für Das Boot

2005 bvk-Ehrenpreis

2002 IMAGO Honorary Award

2001 Deutscher Kamerapreis (Ehrenkameramann)

1985 Goldener Gong (Das Boot, zusammen mit Wolfgang Petersen)

1983 Academy Award of Motion Picture Arts and Sciences (Oscar-Nominierung für die Bildgestaltung für Das Boot)

1982 Bayerischer Filmpreis (Das Boot)

1976 Bundesfilmpreis (Filmband in Gold für die Bildgestaltung für Die verlorene Ehre der Katharina Blum und Lieb Vaterland magst ruhig sein)

1968 Filmfestival Prag (Kamerapreis für Mord in Frankfurt)

1961 Preis der Kurzfilmtage Oberhausen für Hollywood in Deblatschka Pescara

Mit Jost Vacano wird das Lebenswerk eines herausragenden und weltweit anerkannten Kameramanns ausgezeichnet. Jost Vacano gehört zu den wenigen deutschen Kameraleuten der Gegenwart, die internationale Bedeutung erlangt haben und die in Hollywood, am immer noch wichtigsten Produktionsort des Kinos, auf Dauer Fuß fassen und dort kontinuierlich außergewöhnliche, weithin beachtete Filme drehen konnten.

Seit seinen Anfängen im Fernsehspiel der 1960er Jahre arbeitete Jost Vacano mit der Handkamera, die für sein Bildverständnis entscheidend ist. Die Handkamera schreibt eine körperliche Präsenz des Kameramanns in die Bilder ein, erzeugt keine tableauhaft abgeschlossenen Bildräume, sondern sie agiert in einem fließenden Raumkontinuum. Diese Potentiale nutzte Jost Vacano lange vor der Dogma-Bewegung mit großer Konsequenz und ließ so die Zuschauer unmittelbar teilhaben an der spezifischen Atmosphäre der Räume und der Einzigartigkeit des Augenblicks. Jost Vacano ist ein Kameramann der präzisen Aktionsbilder, und so entstanden unter seiner Bildregie Bewegungsfilme in einem radikalen Sinn – mit rasanten Travellings, fließenden Übergängen und genau abgezirkelten Kreisfahrten. Das literarisch-betuliche Fernsehspiel, bei dem Jost Vacano mit so wichtigen Regisseuren wie Rolf Hädrich, Oswald Döpke, Eberhard Itzenplitz, Rainer Wolffhardt, Peter Zadek und vor allem Peter Beauvais zusammengearbeitet hat, wurde durch eine solche Bewegungsdynamik nachhaltig modernisiert und gewann so Anschluss an die Nouvelle Vague. Auch junge Autorenfilmer wie Peter Schamoni, Volker Schlöndorff und Roland Klick setzten am Ende der 1960er und zu Beginn der 1970er Jahre auf den Kameramann Jost Vacano und seine innovative Bildgestaltung, die Tempo und Temperament verbindet und mit der Tradition des „schönen“, kunstvoll gestellten Bildes bricht.

Die Bildarbeit von Jost Vacano wird von klaren und prägnanten Grundüberzeugungen geleitet. Er ist sich der Tatsache bewusst, dass die Kamera die Blickposition des Zuschauers einnimmt und leitet daraus eine besondere Verantwortung ab. Die Kamera garantiert sowohl die Lesbarkeit der Bilder wie auch das Verstehen der Geschichte, der Figuren und der Situationen. Bildgestaltung muss daher stets vom Blickwinkel des Zuschauers ausgehen und auf ihn bezogen sein.

Nach eigenem Bekunden arbeitet Jost Vacano eher intuitiv und ist offen für das Unvorhergesehene und Vorgefundene. Er schätzt besonders den Prozess des Drehens und das gemeinsame kreative Erarbeiten der visuellen Formen. Und doch sind seine Bilder konzeptionell genau durchdacht, auf den Stoff und auf die Geschichte präzise abgestimmt, auf größtmögliche psychologische Wirkung ausgerichtet. In seiner Lichtsetzung geht er immer vom gegebenen, natürlichen Licht aus und entwickelt daraus eine logische, sich selbst erklärende und für den Zuschauer in jeder Einstellung transparente Lichtordnung.

Jost Vacano besitzt herausragende technische Fähigkeiten. In der Tradition so großer Kameraleute wie Karl Freund und Gregg Toland gab er sich mit den standardisierten Gerätschaften und Optiken nicht zufrieden, sondern wurde zum Erfinder neuer Aufnahmesysteme und damit neuer Ausdrucksmöglichkeiten des Bildes. Für den Welterfolg Das Boot (Regie: Wolfgang Petersen nach dem Erinnerungsbuch von Lothar-Günther Buchheim, 1981) konstruierte er eine eigene kreiselstabilisierte Körperkamera mit einem neuartigen, vertikal angeordneten Sucher. Das Bootwurde in vielfacher Weise zum Film seines Lebens. In dieses gigantische Projekt konnte Jost Vacano alles einbringen, was ihn besonders auszeichnet: seinen technischen Erfindergeist, die Fähigkeit, mehrere Aufnahmeteams zu leiten und eine komplizierte Studiomaschinerie zu beherrschen. Die konzeptionellen Entscheidungen von Jost Vacano, den Film ganz aus der Hand zu drehen, eine extrem bewegte Kamera einzusetzen, eine eher dokumentarische Ästhetik anzustreben und vom gegebenen, „natürlichen“ Licht auszugehen, prägten den Film entscheidend und sind daher auch maßgebend für die weltweite Wirkung. Jost Vacanos Bilder von der unerträglichen Anspannung der U-Boot-Besatzung, der permanenten, ungreifbaren Bedrohung und der absoluten Hilflosigkeit definieren erst eigentlich den U-Boot-Krieg als die wohl brutalste Zuspitzung der modernen Kriegsführung überhaupt, als einen Kampf im Grunde ohne jede Überlebenschance in der absoluten Verlorenheit der Tiefsee. Diese Bilder gehören zum Kernbestand der Kinematographie des 20. Jahrhunderts und sind in unser kollektives Gedächtnis eingegangen.

Das Boot und die Oscar-Nominierung eröffneten Jost Vacano eine Weltkarriere und ermöglichten ihm, von 1986-2000 in Hollywood mit großen Budgets und mit einer gigantischen Studiotechnik zu arbeiten. Vor allem in den fünf Filmen, die Jost Vacano mit dem holländischen Regisseur Paul Verhoeven gedreht hat (Robocop, 1987; Total Recall, 1990; Showgirls, 1995; Starship Troopers, 1997 und Hollow Man, 2000), ist die eigene programmatische Linie deutlich erkennbar: ein geschlossenes visuelles Konzept, eine logische, „natürliche“ Lichtführung selbst im Science-Fiction-Genre, die dynamisch bewegte Kamera.

Jost Vacano ist ein selbstbewusster und streitbarer Kameramann, der für seine Bildideen kämpft und sich mit seinen Regisseuren kreativ auseinandersetzt. Seit vielen Jahren engagiert er sich leidenschaftlich für die Belange seines Berufsstands, war über 20 Jahre im Vorstand des Bundesverbands Kamera – bvk, dessen Ehrenmitglied er ist. Seit Anfang der 1980er Jahre streitet er hartnäckig für eine stärkere Berücksichtigung der Bildgestaltung im Urheberrecht. Vacano riskiert und gewinnt nervenaufreibende Prozesse, meldet sich bis in die Politik hinein immer zu Wort und hat so die Situation des gesamten Berufsstands und seiner Wahrnehmung in der Öffentlichkeit erheblich verbessert.

Auch in dieser Hinsicht ist Jost Vacano ein herausragender, ein einzigartiger Kameramann.