2002: Frank Griebe

Frank Griebe

Preisträger des Jahres 2002

Ich habe angefangen, im Kino als Filmvorführer zu arbeiten. Da konnte ich mich mit in den Saal setzen und Filme nochmals und nochmals ansehen, da habe ich viel gelernt.

Frank Griebe

Der zweite Marburger Kamerapreis wurde im Jahr 2002 an den damals erst 38 Jahre alten Frank Griebe verliehen. Während er damals zu den Hoffnungsträgern des deutschen Films gezählt werden konnte, hat er sich heute längst in der High Class der europäischen Filmwelt etabliert.

Griebe wurde am 28. August 1964 in Hamburg geboren und machte zunächst eine Ausbildung zum Filmkopienfertiger, ehe er von 1984 bis 1986 zusätzlich eine Lehre zum staatlich geprüften Kameraassistenten absolvierte. Seine Begeisterung für den Film entwickelte Griebe in einem dreiwöchigen Schülerpraktikum in einer Produktionsfirma und fasste einen Beschluss: „Das, was der Typ da hinter der Kamera macht, das will ich später auch mal machen.“ Ende der 1980er Jahre übernahm Frank Griebe die Kameraassistenz von großen Kameramännern wie Michael Teutsch oder Jürgen Jürgens, der 2016 ebenfalls mit dem Marburger Kamerapreis ausgezeichnet wurde. Mit dem Film Die tödliche Maria (1993) startete Griebe seine Karriere als Chefkameramann von abendfüllenden Spielfilmen Anfang der 1990er Jahre an der Seite des Regisseurs Tom Tykwer. Griebe und Tywker haben bis heute mehr als 16 filmische Projekte gemeinsam umgesetzt. Kennengelernt haben sie sich in einem Berliner Kino, in dem Twyker als Filmvorführer arbeitete. Gleich der erste Spielfilm bescherte den beiden große mediale Aufmerksamkeit: Griebe erhält für seine Kameraarbeit in Die tödliche Maria nicht nur den Kodak-Förderpreis, sondern ebenfalls den deutschen Kamerapreis.


Mit Winterschläfer (1997) und spätestens mit Lola rennt (1998) konnte das Film-Duo Griebe/Tywker an diesen Erfolg anknüpfen: Der hochmoderne und experimentelle Film Lola rennt war der erfolgreichste deutsche Film des Jahres 1998 und erlangte aufgrund der innovativen Clip-Ästhetik ebenfalls internationale Aufmerksamkeit. Griebe erhält sowohl für Winterschläfer 1998 als auch für Lola rennt 1999 den deutschen Filmpreis für die Beste Kamera.
Das besondere an Griebes Stil ist seine außergewöhnliche stilistische Vielseitigkeit, sodass er es schafft, das Thema eines Films auf der visuellen Ebene mit einer extra dafür zugeschnittenen Bildsprache zu untermauern. Nicht selten wird er von den Medien als Tom Tywkers „Göttliches Auge“ bezeichnet.


Auch vor Bestsellerverfilmungen wie Patrick Süskinds 1985 erschienenem Roman Das Parfüm schreckt Griebe nicht zurück: 2006 arbeitete er gemeinsam mit Tom Twyker und dem renommierten Produzenten und Drehbuchautor Bernd Eichinger daran, dem Publikum die Welt von Jean-Baptiste Grenouille zu öffnen, der mit einem beeindruckenden Geruchssinn, allerdings ohne eigenen Körpergeruch im Paris des 18. Jahrhunderts geboren wird. Grenouille ist so besessen von der Idee, den Duft eines Menschen zu konservieren, dass er nicht davor zurückschreckt, dafür zu morden. Durch Makroaufnahmen von Rosenblüten oder Kamerafahrten in Grenouilles Nasenlöcher versucht Griebe den Zuschauer:innen die Welt der Düfte zu vermitteln. Dies gelingt ihm so gut, dass er 2007 für seine Arbeit sowohl mit einem weiteren Deutschen Filmpreis als auch mit seinem ersten Europäischen Filmpreis ausgezeichnet wird.
Frank Griebe ist zudem auch an mehreren dokumentarischen Projekten beteiligt – unter anderem an Sönke Wortmanns Deutschland. Ein Sommermärchen (2006). Wortmann und Griebe begleiten die Deutsche Nationalmannschaft während der Heim-WM 2006 und gewähren den Fußball-Fans neben Spielzusammenfassungen und Interviews auch Einblicke hinter die Kulissen.

Im Jahr 2013 entstehen weitere Meilensteine in Griebes Karriere: Für die Romanverfilmung Cloud Atlas (2012) wird er gemeinsam mit dem Hollywood-Kameramann und Oscar-Preisträger John Toll (Braveheart, The Thin Red Line) erneut mit dem Deutschen Kamerapreis ausgezeichnet. Der Film zählt bis heute zu den teuersten je produzierten Independent-Filmen. Cloud Atlas wurde 2013 bei der Oscarverleihung in der Kategorie „Beste visuelle Effekte“ in die Vorauswahl aufgenommen und erhielt fünf deutsche Filmpreise. Die größte Auszeichnung erhält Griebe beim Deutschen Kamerapreis 2013, bei dem ihm, noch vor seinem 50. Lebensjahr, der Ehrenpreis für sein Lebenswerk verliehen wird:

Frank Griebe ist ein Augenmensch im tiefsten Sinne des Wortes. Stilistische Vielfalt, technische Virtuosität und ein außergewöhnliches visuelles Einfühlungsvermögen gehen bei ihm Hand in Hand. Souverän bedient er sich aller filmgestalterischen Mittel, ohne diese nur ihrer selbst Willen einzusetzen. Ob dynamisch, opulent, distanziert oder intim – immer dient sein Kamerablick einer filmischen Idee, die erst durch Griebes Gestaltung für den Betrachter begreifbar wird. […] (Jurybegründung Deutscher Kamerapreis)
In den vergangenen Jahren hat sich Griebe erstmals dem Format der Fernsehserie zugewandt. So bildete er gemeinsam mit Bernd Fischer und Philipp Haberlandt das
dreiköpfige Kamerateam der mehrfach ausgezeichneten Serie Babylon Berlin (2017-2022). Auch für diese herausragende Arbeit wurde er ausgezeichnet, und zwar mit dem Deutschen Fernsehpreis 2018.

The Dive (2023)
Regie: Maximilian Erlenwein

Funeral for a Dog (2022, TV Serie)
Regie: David Dietl

Playing God (2020, TV Film)
Regie: Lars Kraume

Home (2020)
Regie: Franka Potente

Lara (2019)
Regie: Jan-Ole Gerster

25 km/h (2018)
Regie: Markus Goller

Babylon Berlin (2017) (TV)
Regie: Henk Handloegten, Tom Tykwer, Achim von Borries

Conny Plank – The Potential of Noise (2017, Dokumentarfilm)
Regie: Reto Caduff, Stephan Plank

Denk ich an Deutschland in der Nacht (2017)
Regie: Romuald Karmakar

Ein Hologramm für den König (2016)
Regie: Tom Tykwer

Anderson (2014, Dokumentarfilm)
Regie: Annekatrin Hendel

Rosakinder (2012, TV)
Regie: Chris Kraus, Axel Ranisch, Rober Thalheim

Cloud Atlas (2012)
Regie: Tom Tykwer, Lana Wachowski, Lilly Wachowski

Zettl (2012)
Regie: Helmut Dietl

Lost in Religion: Welcher Glaube für mein Kind (2010, TV)
Regie: Marc Burth

Longing for Beauty – Sehnsucht nach Schönheit (2010, TV)
Regie: Julian Benedikt

3 (2010)
Regie: Tom Tykwer

Problema (2010)
Regie: Ralf Schmerberg

Max Raabe & Palast Orchester: Heute Nacht oder nie (2009, TV)
Regie: Michael Beyer, Michael Ballhaus

Deutschland 09 – 13 kurze Filme zur Lage der Nation (2009, Segmente „Feierlich reist“ and „Ramses“)
Regie: Romuald Karmakar, Tom Tykwer

The International (2009/I)
Regie: Tom Tykwer

Going Against Fate (2008)
Regie: Viviane Blumenschein

Play Your Own Thing: A Story of Jazz in Europe (2006)
Regie: Julian Benedikt

Deutschland. Ein Sommermärchen (2006)
Regie: Sönke Wortmann

Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders (2006)
Regie: Tom Tykwer

Paris, je t’aime (2006, Segment „Faubourg Saint-Denis“)
Regie: Tom Tykwer

Der die Tollkirsche ausgräbt (2006)
Regie: Franka Potente

Ich Dich auch (2005)
Regie: Katja Dringenberg, Christiane Voss

NVA (2005)
Regie: Leander Haußmann

Nullachtfuffzehn (2004)
Regie: Mark Schlichter

Ein Tag in Wolfsburg (2004)
Regie: Julian Benedikt

True (2004)
Regie: Tom Tykwer

Rammstein: Lichtspielhaus (2003, Video „Du Riecht So Gut“)
Regie: Mathilde Bonnefoy

Herr Lehmann (2003)
Regie: Leander Haußmann

Delusion (2002)
Regie: Tim Großkurth

Nackt (2002)
Regie: Doris Dörrie

Heaven (2002/I)
Regie: Tom Tykwer

Die Aufschneider (2000)
Regie: Anette Ernst

Der Krieger und die Kaiserin (2000)
Regie: Tom Tykwer

Absolute Giganten (1999)
Regie: Sebastian Schipper

Hauptsache Leben (1998, TV)
Regie: Connie Walter

Lola rennt (1998)
Regie: Tom Tykwer

Zugvögel – … einmal nach Inari (1998)
Regie: Peter Lichtefeld

Winterschläfer (1997)
Regie: Tom Tykwer

Die brennende Schnecke (1996, TV)
Regie: Thomas Stiller

Der Mann auf der Bettkante (1995, TV)
Regie: Christoph Eichhorn

„Ein unvergeßliches Wochenende“ – In Südfrankreich (1994, TV)
Regie: Rolf von Sydow

Die tödliche Maria (1993)
Regie: Tom Tykwer

Epilog (1992/I)
Regie: Tom Tykwer

Because (1990)
Regie: Tom Tykwer

2015 Nominiert mit Camerimage Jury Award (Best Pilot) für Sense8(2015)

2013 Deutscher Kamerapreis, Ehrenpreis für das Lebenswerk

2013 Deutscher Filmpreis für Cloud Atlas (2012)

2008 Adolf-Grimme-Preis für Der die Tollkirsche ausgräbt (2006)

2007 Deutscher Filmpreis für Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders (2006)

2007 Europäischer Filmpreis für Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders (2006)

2006 Camerimage Cinematographer-Director Duo Award (mit Tom Tykwer)

2002 Marburger Kamerapreis

2002 Preis der deutschen Filmkritik für Heaven (2002)

2000 Chlotrudis Award für Lola rennt (1998)

2000 Brothers Manaki International Film Festival Spezialpreis der Jury für Lola rennt (1998)

1999 Deutscher Filmpreis für Lola rennt (1998)

1998 Deutscher Filmpreis für Winterschläfer (1997)

1994 Deutscher Kamerapreis (Kategorie: Spielfilm) für Die tödliche Maria (1993)

Nach der weithin beachteten Auszeichnung eines Kameramanns des großen europäischen Kinos (MARBURGER KAMERAPREIS 2001 an Raoul Coutard), der für Leistungen geehrt wurde, die bis zum Ende der fünfziger Jahre zurückreichen und bereits Geschichte geworden sind, wird nun 2002 mit Frank Griebe die Arbeit eines jungen und höchst aktuellen Bildgestalters in den Mittelpunkt gerückt. Damit entfaltet der Preis eine neue, eine geradezu filmpolitische Facette. Die Verleihung unterstützt und ermutigt eine innovative Gestaltungsleistung, die dem aktuellen deutschen Film bereits wichtige Impulse gegeben hat.

Frank Griebe ist vor allem durch die Fotografie der Filme Tom Tykwers bekannt geworden. Zu Recht fanden die Inszenierungen Tykwers (Die tödliche Maria, Winterschläfer, Lola rennt und Der Krieger und die Kaiserin) große, zuletzt auch internationale Beachtung. Tykwer gilt als vielversprechende Regiebegabung und als große Hoffnung des deutschen Films. Doch noch viel zu wenig wird gewürdigt, dass diese Filme ihre emotionale Kraft und ihren Phantasiereichtum nicht zuletzt der Bildlichkeit, der konsequenten visuellen Gestaltung und damit der Kameraarbeit von Frank Griebe verdanken.

Die stilistische Vielfalt der vier für Tykwer fotografierten Filme ist außerordentlich. Die tödliche Mariaentwirft mit großer und fast schon asketischer Konsequenz eine Bilderwelt der sozialen Unterdrückung und der Realitätsflucht, aus der es für die Heldin kein Entrinnen zu geben scheint. Die muffigen Interieurs der fünfziger Jahre mit ihrer deprimierenden Warenästhetik werden zu einer Sphäre der Fäulnis und der Verwesung radikalisiert. Und dennoch deutet der Film an Ende, ironisch gebrochen, den kühnen, befreienden Sprung aus dieser Schreckenswelt an.

Winterschläfer realisiert ganz andere, atmosphärisch aber ebenso dichte Raumbilder. Die starre winterliche Gebirgswelt treibt die Figuren, junge orientierungslose Erwachsene, in die Nischen und Winkel ihrer privaten Sphären, die aber ebenso wenig Schutz bieten. Exzentrisch-gewagte, kreisende Kamerabewegungen bezeichnen sowohl die Ausbruchsversuche wie auch die Untergänge und Abstürze.

Lola rennt führt auf virtuose Weise die Audrucksebenen von Erzählfilm, Filmessay, Zeichentrick und Videoästhetik zusammen – mit einer erstaunlichen Perfektion auf allen Ebenen. Die sehr unterschiedlichen Bildstile – vom reportagehaften Realismus bis zur Phantastik des Traumes – werden dabei nicht bloß zitathaft abgerufen, sondern konsequent zugespitzt und überhöht.

Der Krieger und die Kaiserin, der vorläufig letzte Film des Duos Tykwer/Griebe, besticht durch das Nebeneinander aktionsgeladener Bildlichkeit und spiritueller Tiefe.
Mit Frank Griebe wird eine Kameraarbeit ausgezeichnet, die bei aller unbestreitbaren Professionalität auf beständigem Experimentieren, auf dem Mut zum Risiko und der Lust der Zuspitzung basiert. Die Preisverleihung richtet die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Bildgestaltung, auf die herausragende Leistung des Kameramanns Frank Griebe. Sie korrigiert und ergänzt somit die Wertung und Rezeption dieser Filme, die bisher einseitig den Regisseur Tom Tykwer und seine Hauptdarstellerin Franka Potente favorisiert hat und erfüllt somit in fast idealer Weise die Programmatik des MARBURGER KAMERAPREISES.