2023: Benedict Neuenfels

Benedict Neuenfels

Preisträger des Jahres 2023

© Peter Hartwig

Filmische Geschichten sind wunderbare Illusionen, die Zeit anders erzählen, als wir sie im Alltag wahrnehmen. Stellt das Offensichtliche in Frage und schaut hinter das Bild, ohne Regeln oder Grenzen. Es geht um die Frage: Wie kann ich den Zuschauer verführen?

Benedict Neuenfels

Benedict Neuenfels (aac, bvk) wurde am 11. März 1966 in Bern geboren. Als Sohn des Regisseurs Hans Neuenfels
und der Schauspielerin Elisabeth Trissenaar wuchs er Mitten im Trubel des ihn begeisternden und
anziehenden Kulturbetriebs auf. Bereits mit zwölf Jahren war der junge Neuenfels bei Projekten seines
Vaters dabei und hatte sein berufliches Ziel schon klar vor Augen: die Kamera. Das Abitur absolvierte er
unter anderem in dem Lehrfach „Film“, gründete noch aus dem Gymnasium heraus die Firma Giselafilms,
die bis heute aktiv ist, und begann mit der Produktion von Theater- und Opernfilmen sowie Dokumentar-,
Kurz- und Spielfilmen. Ab 1988 studierte er an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin, wo er
Teil der sogenannten Berliner Schule wurde, zu der unter anderem Christian Petzold zählt.


Hier beginnt Neuenfels seine Karriere als Director of Photography. Für Kino und Fernsehen hat Neuenfels
die Bilder von über 60 Filme und Serien unterschiedlicher Genres gestaltet, von Komödien und
Kriegsdramen über Fantasyfilme bis hin zu Krimis und Künstlerbiografien. Gerade dieses Repertoire
unterschiedlicher visueller Ausdrucksmittel macht ihn zu einem vielbeschäftigten und einem der
vielseitigsten Bildgestalter im deutschsprachigen Raum. Neben seiner filmpraktischen Arbeit ist
Neuenfels auch als Mitglied der deutschen, der österreichischen und der europäischen Filmakademie
aktiv und unterrichtet an unterschiedlichen Filmhochschulen. In Fachpublikationen zu den Themen
Kamerastil- und Gestaltung reflektiert er seine Arbeit.


Neuenfels lehnt die Bezeichnung Kameramann entschieden ab, da sein Aufgabenbereich nicht allein auf
den optischen Apparat fokussiert ist, sondern auch Felder wie Lichtgestaltung, Bewegungsdramaturgie
und damit auch die narrativen Aspekte der Bildgestaltung einschließt. Als Bildgestalter ist er für eine
kollegiale, konstruktive Arbeit bekannt, der Workflow mit seinem Team ist seit vielen Jahren eingespielt.
Zu seinen treuesten Weggefährten zählen der Kameraassistent Andreas Erben, Key Grip Markus Pluta
und der Oberbeleuchter Rainer Stonus, mit denen er seit 35 Jahren zusammenarbeitet. Operateur,
Digital Image Technician und Greenconsultant Phillip Wölke ist seit mittlerweile 16 Jahren Teil des Teams.


Das Zusammenspiel mit den anderen Departements und im Besonderen der Regie basiert bei Neuenfels
und seinem Team vor allem auf einem großen gemeinsamen Interesse an dem narrativen Potential der
Bildgestaltung. Filmschaffende wie Dominik Graf, Stefan Ruzowitzky und Maria Schrader sind nicht nur
Gleichgesinnte bei der Umsetzung innovativer Bilderwelten und Bildsprachen, sondern auch langjährige
Weggefährten. Das intensive Teamwork wird nicht nur durch eine beeindruckende Liste an Filmen belegt,
die große Expertise aller Beteiligten hat auch eine Fülle an Auszeichnungen mit sich gebracht. So wurde
Neuenfels bereits sieben Mal mit dem Deutschen Kamerapreis ausgezeichnet, unter anderem für LOST
KILLERS (2000, R: Dito Tsintsadze) und dem mehrfach prämierten Film HOMEVIDEO (2011, R: Kilian Riedhof).


Eine ganz besondere Auszeichnung konnte Neuenfels 2018 mit dem Deutschen
Menschenrechtsfilmpreis für STYX (2018, R: Wolfgang Fischer) entgegennehmen. Das beeindruckende
Werk, für das Neuenfels und sein Team eigenes Filmequipment entwickelten, erhielt ein Jahr später
ebenfalls den Deutschen Filmpreis in Silber. Der größte Erfolg auch auf internationaler Ebene hatte
Neuenfels mit dem Film DIE FÄLSCHER (2007, R: Stefan Ruzowitzky), der einen Oscar als bester
ausländischer Film erhalten hat. Durch seine große Reputation ist Neuenfels inzwischen ebenfalls
Mitglied in zahlreichen Filmpreisjurys.


Stella. Ein Leben. (2023)
Regie: Kilian Riedhof

In einem Land, das es nicht mehr gibt (2022)
Regie: Aelrun Goette

Hinterland (2021)
Regie: Stefan Ruzowitzky

Ich bin dein Mensch (2021)
Regie: Maria Schrader

Narziss und Goldmund (2020)
Regie: Stefan Ruzowitzky

8 Tage (Miniserie, 2019)
– Panic
– Trennung
– Glaube
– Hoffnung
– Krieg
– Verzweiflung
– Absolution
– Frieden
Regie: Michael Krummenacher, Stefan Ruzowitzky, Peter Kocyla, Rafael Parente, Benjamin Seiler

Patient Zero (2018)
Regie: Stefan Ruzowitzky

Styx (2018)
Regie: Wolfgang Fischer

Die Hölle – Inferno (2017)
Regie: Stefan Ruzowitzky

Tatort (Fernsehserie, 2017)
– Borowski und das dunkle Netz
Regie: David Wnendt

Der Fall Barschel (2015)
Regie: Kilian Riedhof

Mädchen im Eis (2015)
Regie; Stefan Krohmer

Schönefeld Boulevard (2014)
Regie: Sylke Enders

Zorn (Fernsehserie, 2014)
– Tod und Regen
Regie: Mark Schlichter

24h Jerusalem (2014)
Regie: Britt Beyer, Volker Heise, Ramy A Katz

Das radikal Böse (2013)
Regie: Stefan Ruzowitzky

Tatort (Fernsehserie, 2013)
– Borowski und der Engel
Regie: Andreas Kleinert

Das Wochenende (2012)
Regie: Nina Grosse

Riskante Patienten (2012)
Regie: Stefan Krohmer

Weil ich schöner bin (2012)
Regie: Frieder Schlaich

Homevideo (2011)
Regie: Kilian Riedhof

Die fremde Familie (2011)
Regie: Stefan Krohmer

Valerie (2010)
Regie: Josef Rusnak

Schurkenstück (2010)
Regie: Torsten C. Fischer

Mahler auf der Couch (2010)
Regie: Felix O. Adlon, Percy Adlon

Villalobos (2009)
Regie: Romuald Karmakar

24h Berlin – Ein Tag im Leben (2009)
Regie: Volker Heise, Alice Agneskirchner, Ute Badura

Tatort (Fernsehserie, 2009)
– Mit ruhiger Hand
Regie: Maris Pfeiffer

Anonyma – Eine Frau in Berlin (2008)
Regie: Max Färberböck

Liebesleben (2007)
Regie: Maria Schrader

Auf dem Vulkan (2007)
Regie: Claudia Garde

Die Fälscher (2007)
Regie: Stefan Ruzowitzky

Der Mann von der Botschaft (2006)
Regie: Dito Tsintsadze

Der rote Kakadu (2006)
Regie: Dominik Graf

21 Liebesbriefe (2004)
Regie: Nina Grosse

Invasion of the Planet Earth (Short, 2004)
Regie: Moritz Langer

Sie haben Knut (2003)
Regie: Stefan Krohmer

Tatort (Fernsehserie, 2003)
– Dschungelbrüder
Regie: Lars Becker

Bloch (Fernsehserie, 2002)
– Schwarzer Staub
Regie: Ed Herzog

Olgas Sommer (2002)
Regie: Nina Grosse

Der Felsen (2002)
Regie: Dominik Graf

99euro-films (2001)
– Die schöne Fremde
Regie: Frieder Schlaich

Lonesome (2001)
Regie: Elke Rosthal

Lost Killers (2000)
Regie: Dito Tsintsadze

…ich bin keiner von uns (1999)
Regie: Ralf Zöller

Der diskrete Charme des Hans Magnus Enzensberger (1999)
Regie: Ralf Zöller

Deine besten Jahre (1999)
Regie: Dominik Graf

Mein großer Freund (1998)
Regie: Marianne Lüdcke

Frau Rettich, die Czerni und ich (1998)
Regie: Markus Imboden

Fremde Welten, fremde Blicke (1998)
Regie: Aka Ludwigsburg

Doktor Knock (1997)
Regie: Dominik Graf

Der Skorpion (1997)
Regie: Dominik Graf

Die lebende Bombe (1996)
Regie: Walter Feistle

Kebab Träume (1996)
Regie: Lars Becker

Sperling (Fernsehserie, 1996)
– Sperling und das Loch in der Wand
Regie: Dominik Graf

Landgang für Ringo (1996)
Regie: Lars Becker

Bunte Hunde (1995)
Regie: Lars Becker

Tatort (Fernsehserie, 1995)
– Frau Bu lacht
Regie: Dominik Graf

Flut (Short, 1994)
Regie: Stephan Puchner

Bilder von anderswo (1994)
Regie: Ralf Zöller

Frauen sind was Wunderbares (1994)
Regie: Sherry Hormann

Meine Sterne und meine Himmel (1993)
Regie: Ralf Zöller

Neues Deutschland (1993)
Regie: Philip Gröning

Ins Leere (Short, 1993)
Regie: Astrid Ofner

Morlock (Fernsehserie, 1993)
– Die Verflechtung
Regie: Dominik Graf

Die fliegenden Kinder (1992)
Regie; Torsten C. Fischer

Jenseits der Schatten (1992)
Regie: Ralf Zöller

Glasnost Junkies (Short, 1992)
Regie: Bernd Löhr

Amok (Short, 1992)
Regie: Mark Schlichter

Until the end of the world (1991)
Regie: Wim Wenders

Wim Wenders Retro (Short, 1991)
Regie: Wim Wenders

Felix (Short, 1991)
Regie: Mark Schlichter

Das blinde Ohr der Oper (1990)
Regie: Hans Neuenfels

Piekser (Short, 1990)
Regie: Dino Simonett

La mémoire (Short, 1989)
Regie: Connie Walter

Monarchia (Short, 1989)
Regie: Maja Rokovic

Fisch (Short, 1989)
Regie: Mark Schlichter

Europa und der zweite Apfel (1988)
Regie: Hans Neuenfels

Mensch ärgere dich nicht (Short, 1987)
Regie: Klaus Stawecki

Dass ein Bildgestalter gleichermaßen für das Kino und für das Fernsehen arbeitet, ist in der
gegenwärtigen Medienlandschaft Europas eher die Regel als die Ausnahme. Benedict Neuenfels
prägt beide Medien jedoch seit über dreißig Jahren mit außergewöhnlicher Innovationskraft und
großer Experimentierfreude. Die Arbeiten von Neuenfels beschreiten technisch und gestalterisch
immer wieder neue Wege und zeigen dabei ein feines Gespür für die visuelle Gestaltung
unterschiedlicher Genres und Themen. Die oft experimentelle Natur der Bildgestaltung drängt sich
dabei nicht in den Vordergrund, vielmehr werden die Figuren und Geschichten aus dem
Hintergrund unterstützt und in Zusammenarbeit mit den anderen Departments wie dem
Szenenbild und der Regie überhaupt erst neu erschaffen.


Eindrucksvoll zeigt dies zum Beispiel der Film DER FELSEN (2002, R: Dominik Graf), den Neuenfels zu einer
Zeit digital auf MiniDV gedreht hat, zu der Kinofilme noch fast ausnahmslos auf analogem
Filmmaterial entstanden sind. Viele Einstellungen sind das Ergebnis einer Bildersuche, die
Neuenfels quer durch die Insel Korsika unternommen hat. Das Videoformat dient keineswegs dazu,
den Authentizitäts- und Wirklichkeitscharakter der Aufnahmen zu betonen, vielmehr steigert
Neuenfels die Künstlichkeit des Video-Bildes und lässt dabei der Experimentierlust und der
Entdeckerfreude freien Lauf, die ihm die kleine Kamera gestattet. So ist DER FELSEN auch ein
prominentes Beispiel für den virtuosen Einsatz der Handkamera, der die von Neuenfels gestalteten
Filme jenseits von Genre- und Stilgrenzen prägt, indem sie Nahaufnahmen wie Totalen dynamisiert
und einen individuellen und direkten Blick auf die Figuren und das Geschehen wirft.


Auch die Fernseharbeiten mit Dominik Graf, zu denen der legendäre Tatort FRAU BU LACHT (1995) ebenso
gehört wie die Thriller DER SKORPION (1997) und DEINE BESTEN JAHRE (1999), zeugen von einer Lust
daran, ungewöhnliche Kamerabewegungen, Perspektiven und Lichtstimmungen einzubinden und
dadurch unterschiedliche Bildstile und Genres zu untersuchen und miteinander zu verschmelzen.
Die mit der Vielfalt der Projekte einhergehende Flexibilität in der Bildgestaltung lässt sich als
besonderes Markenzeichen von Neuenfels beschreiben. Seine Projekte mit Stefan Ruzowitzky
reichen vom Actionthriller DIE HÖLLE (2017) über den Holocaustfilm DIE FÄLSCHER (2007), das
Historiendrama NARZISS UND GOLDMUND (2020), die dokumentarische Arbeit DAS RADIKAL BÖSE (2013)
bis hin zum Kriegsheimkehrer-Thriller HINTERLAND (2021), der die technische und ästhetische
Neugier des Teams noch einmal besonders eindrücklich belegt, weil der Großteil der Aufnahmen
vor Greenscreen entstanden ist, um eine expressionistische Bildästhetik zu realisieren, die an das
Weimarer Kino der 1920er Jahre anknüpft.


Auch mit der Regisseurin Maria Schrader verbindet Neuenfels das Interesse an ästhetischer und
thematischer Vielfalt. Während LIEBESLEBEN (2007) direkt und intensiv aus dem Leben der
israelischen Protagonistin erzählt, sind die Bilder in ICH BIN DEIN MENSCH (2021) von einer
futuristischen Nüchternheit geprägt, die immer wieder Spannungen und Kontrapunkte zwischen
den modernen Bauwerken und der Seelenarchitektur der Figuren etabliert. Für den Film STYX (2018,
R: Wolfgang Fischer) wiederum, der zu großen Teilen auf offener See spielt und dort auch gedreht
wurde, entwickelte und baute Benedict Neuenfels mit seinem Team eigenes Equipment, um die
Kamera einerseits vor den Elementen zu schützen und sie andererseits in unterschiedlichen
Positionen stabilisieren zu können, sei es im Meer oder in den unterschiedlichen Seitenlagen des
Segelboots der Protagonistin. Der Eindruck, der dadurch entsteht, spielt die technischen
Innovationen nicht in den Vordergrund. Vielmehr werden durch sie neue erzählerische
Möglichkeiten eröffnet, die der Film auf fulminante Weise nutzt, um die beklemmende Situation
schiffbrüchiger Geflüchteter auf dem Mittelmehr darzustellen.


Bei der erzählerischen und technisch-gestalterischen Arbeit kann sich Benedict Neuenfels jederzeit auf
ein Kamerateam verlassen, das zum Teil seit fünfunddreißig Jahren mit ihm zusammenarbeitet.
Dazu gehören Kameraassistent Andreas Erben, Keygrip Markus Pluta und Oberbeleuchter Rainer
Stonus. Philip Wölke kam als Techniker für das Digitale Bild (DIT) und Berater für Green-ScreenAufnahmen vor 16 Jahren dazu und ist seither ein ebenso fester Bestandteil des Teams. Die
Verleihung des Marburger Kamerapreises gilt also nicht Benedict Neuenfels allein, sondern ebenso
seinem Team, das bei jeder gemeinsamen Arbeit aufs Neue eindrucksvoll demonstriert, dass auch
Kameraarbeit immer auch als Kollaboration zu denken ist und nur ein gut eingespielter Verbund
Außergewöhnliches zu leisten imstande ist.


Wir freuen uns über die Gelegenheit, durch die Verleihung des Marburger Kamerapreises an Benedict
Neuenfels den Aspekt des Teamworks für die Kameraarbeit und das Filmemachen allgemein in aller
Deutlichkeit hervorzuheben. Außerdem ist es uns eine Freude, einen Preisträger zu würdigen, der
sich entschieden dafür einsetzt, den Begriff der Bildgestaltung zu profilieren, um darauf
hinzuweisen, dass neben der Bedienung der Kamera auch die Bewegungsdramaturgie, die Arbeit
mit Licht und Farben und damit das visuelle Erzählen zu den Aufgaben der Bildgestalterinnen und
Kinematografen gehört.


Für seine ästhetisch ausgesprochen vielfältige Arbeit wurde Neuenfels bereits mit zahlreichen
Filmpreisen ausgezeichnet, unter anderem bekam er sieben Mal den Deutschen Kamerapreis und
zweimal den Deutschen Filmpreis für die beste Bildgestaltung. Zudem erhielt er zwei Grimmepreise,
der von ihm fotografierte Film DIE FÄLSCHER (2007, R: Stefan Ruzowitzky) wurde als bester
fremdsprachiger Film mit einem Oscar ausgezeichnet und seine Zusammenarbeit mit Maria
Schrader ICH BIN DEIN MENSCH (2021) wurde als deutscher Beitrag bei der Academy of Motion Picture
Arts and Sciences eingereicht.


Durch unseren Preis möchten wir Benedict Neuenfels dazu ermutigen, seine langjährigen
Partnerschaften innerhalb des Kamerateams und die etablierten Verbindungen zu anderen
Filmemacherinnen und Filmemachern intensiv weiterzuverfolgen. Wir freuen uns auf viele weitere
Projekte, in denen Neuenfels sich mit Neugier und Versiertheit nicht nur zum Komplizen anderer
Filmschaffender macht, sondern zum Koautor der gemeinsamen Filmprojekte, indem er die
technischen, gestalterischen und erzählerischen Aspekte der Bildgestaltung kunstvoll miteinander
verbindet und die Ausdrucksmittel seines Mediums durch das Beschreiten neuer Wege weiter
erforscht und bereichert.